Die Nacht der Kirchen in Deusch-Gabel 24.5.2013 - 19:00 Schola Gregoriana Pragensis
MAIESTAS DEI
MITTELALTERLICHE POLYPHONIE IM WERK VON PETRUS WILHELMI DE GRUDENCZ
MAJESTÄT GOTTES
P. W. de Grudencz: Moteto Veni vere — Pneuma — Paraclito — Dator (Komm, du wahrer Erleuchter…)
P. W. de Grudencz: Kyrie Fons bonitatis (Herr, du Quelle der Güte…)
Gloria in excelsis Deo (Ehre sei Gott in der Höhe…)
P. W. de Grudencz: Bohu svému, Králi nebeskému (Lasst uns Gott allein Ehre bezeigen…)
GOTTES GEBURT
Introitus Puer natus est (Ein Kind ist uns geboren…)
Anonymus (vor 1500): Cantio Nobis est natus hodie (Heute ward uns aus der reinen Jungfrau der König des Sieges geboren…)
P. W. de Grudencz: Moteto Pán Ježíš narozený — Tři králové — Zdávna prorokové (Herr Jesus neugeboren liegt in der Krippe…)
Lectio evangelii Factum est cum baptizaretur (Und es geschah, als das ganze Volk getauft wurde…)
P. W. de Grudencz: Moteto Preconia etroclyta (Lasst uns bei Festmahlen…)
MARIA, KÖNIGIN UND HELFERIN
Antiphona Nigra sum (Ich bin schwarz, aber herrlich schön…)
P. W. de Grudencz: Presidiorum erogatrix (Spenderin des Schutzes…)
P. W. de Grudencz: Prelustri elucencia (Mit überklarer Strahlenkrone des Titanen bist du gekränzt…)
Tractus Laus tibi Christe filio (Lob sei dir, Christe, Sohn Marias…)
P. W. de Grudencz: Plaude euge Theotocos (Juble freudigst, du Gottesgebärerin…)
DIE HEILIGEN VOR DER MAJESTÄT GOTTES
Guillaume Dufay: Hymnus Urbs beata Jerusalem (Die selige Stadt Jerusalem…)
HEILIGE DOROTHEA
Antiphona Nil territa supplicio (Unverängstigt von den Martern…)
P. W. de Grudencz: Moteto Prefulcitam expolitam (Die prunkvolle und mit vertonten Versen geschmückte Dorothea…)
HEILIGER MARTINUS
P. W. de Grudencz: Moteto Presulis eminenciam (Die Einzigartigkeit des Bischofs…)
Sequentia Sacerdotem Christi Martinum (Martin, den Priester Christi, rühmt die allgemeine Kirche…)
P. W. de Grudencz: Rotulum Presulem ephebeatum (Lasst uns den seligen Bischof Martin rühmen…)
Schola Gregoriana Pragensis:
Hasan El-Dunia, Ondřej Maňour, Martin Prokeš,
Michal Medek, Marek Šulc, Tomáš Lajtkep, Michal Mačuha
künstlerische Leitung — David Eben
Worte zum Programm
Die Geschichte der geistlichen Musik des Mittelalters ist nicht durch konkrete Namen eingesäumt, wie es in den neueren Zeiten ist. Es bedeutet allerdings nicht, dass das Mittelalter solche Persönlichkeiten nicht hatte. In dieser Zeitepoche war der Zweck dieses Musikschaffens vor allem Gottesdienst und Liturgie. Deshalb sind die gregorianischen Gesänge bis auf Ausnahmen anonym, die Gesichter der Gestalter sind ganz bewusst unter den Kapuzen der Mönchkutten versteckt. Die Persönlichkeit des Komponisten tritt erst mit der Entwicklung der Mehrstimmigkeit ausgeprägter in Vordergrund. Die Namen wie Perotinus, Landini, Machaut tauchen plötzlich aus der Anonymität als Meilensteine der Musikentwicklung auf.
In unserem mitteleuropäischen Milieu erscheinen die Erwähnungen über Musikgestalter erst zur Neige des Mittelalters. Selten ist es jedoch möglich auf so ein eindeutiges Zeugnis von Autorschaft zu stützen, wie es im Falle von Petrus Wilhelmi de Grudencz ist. Diese ausgeprägte Erscheinung an der Grenze des Mittelalters und Renaissance verewigte sich nämlich auf eine originelle Weise in seinen Kompositionen, durch den sog. Akrostich: die ersten Buchstaben der Wörter des Textes stellen den Namen Petrus zusammen, in einer Motette finden wir seinen chiffrierten Namen in Ganzheit.
Dieser Typ der Unterschrift bildete allerdings keine Garantie, dass der Name Petrus Wilhelmi de Grudencz für immer in der Tradition der Musikgeschichte verweilt. Zum Unterschied von seinem Werk, das mindestens aus den tschechischen und schlesischen Chören noch am Anfang des 17. Jahrhunderts klang, geriet der Name des Autors mit der Zeit in Vergessenheit. Es war nötig bis in die 70er Jahren des 20. Jahrhunderts zu warten, als es dem Musikologen Jaromír Černý gelang die versteckte Unterschrift Peters in seinen Kompositionen aufzulösen. Es begann so eine merkwürdige Detektivgeschichte, in der das Leben und Werk einer der bedeutendsten komponistischen Persönlichkeit des 15. Jahrhunderts entdeckt wurde.
Wir führen in Kürze die wichtigsten biographischen Angaben. Petrus Wilhelmi de Grudencz wurde im Jahre 1392 in Gridziac (in der Nähe des polnischen Torun) geboren, studierte an der Universität in Krakow, wo er im Jahre 1430 den Magistergradus erreichte. In den 40er Jahren des 15. Jahrhunderts trat er in den Dienst vom Kaiser Friedrich III. In Zusammenhang mit dem Kaiserhof wurde er zum Friderici imperatoris cappelanus — d.h. Kaplan des Kaisers Friedrich III., was auch die musikalische Tätigkeit beinhalten könnte. Im Jahre 1452 kann man seinen Aufenthalt in Rom nachweisen, wohin er höchstwahrscheinlich wieder als Mitglied kaiserlicher Begleitung pilgerte. Dann verliert sich Peters Spur in den Archivalien.
Zwei seiner Kompositionen können seinen Lebenslauf interessant auffüllen. Es ist einmal der Text des Liedes Pontifices ecclesarium (leider ohne Notenschrift überliefert), die zur Unterstützung des Baselkonzils (1431–1449) auffordert. Es entstand höchstwahrscheinlich auf Bestellung einer der Leitpersönlichkeiten des Konzils. Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich Petrus in der Nähe dieser bedeutsamen kirchlichen Verhandlung bewegte, wo während der Gottesdienste nicht nur eine von den Neuheiten der zeitgenössischen polyphonischen Produktion erklang.
Eine weitere Spur für die Lokalisierung seiner Wirkung am Ende seines Lebens könnte die Motette Probitate-Ploditando sein. Der Text dieser Motette macht einen gewissen Andreas Ritter lächerlich, den traurig berühmten Sohn des Schulrektors des polnischen Grünen Berg (ca. 60-70er Jahre des 15. Jahrhunderts). Wenn wir voraussetzen, dass Petrus des Ritters Grobheit persönlich traf, würde es bedeuten, dass er in einem fortgeschrittenen Alter in das Land zurückkehrte, in dem er geboren wurde.
Ein Rätsel stellt die Beziehung von Petrus Wilhelmi zu den tschechischen Ländern dar. Obwohl wir keinen historischen Nachweis von Petrus Aufenthalt in Tschechien haben, sind mehr als zwei Drittel seines Werkes gerade in den tschechischen Quellen erfasst. Wir können vermuten, dass Petrus während seines unterschiedlichen Kreuzens durch Mitteleuropa auch in unsere Gegend geriet und das hiesige Musikrepertoir bedeutsam bereicherte.
Wie könnten wir das Werk von Petrus Wilhelmi de Grudencz am besten charakterisieren? Er ist bestimmt eine Persönlichkeit an der Grenze von zwei Epochen — mit bestimmter Übertreibung könnte man sagen: „seine Beine sind noch im Mittelalter, aber der Kopf ist schon in der Renaissance“. Ein Ausgangspunkt für sein Schaffen ist die mittelalterliche Mehrstimmigkeit des zentralen Europa, die bei Petrus von einer merkwürdigen Eigenart beseelt ist und innoviert von Elementen der zeitgenössischen Polyphonie. Eine Reihe der Kompositionen erinnert durch melodischen Wohlklang an das frühe Werk von Guillame Dufay. Ab und zu fesselt Petrus durch einen überraschenden Witz, wie z.B. im St. Martinus Lied Presulis eminenciam, wo das lautmalerische „Schnattern“ an das traditionelle Gericht am Martins-Feiertag der St. Martinus — Gans erinnert.
Aus dem formellen Gesichtspunkt finden wir im Werk von Petrus Wilhelmi insbesondere mehrstimmige Lieder und mittelalterliche Motetten, wo jede Stimme ihren eigenen unterschiedlichen Text hat. Eine Besonderheit ist das Rotulum Presulem ephebeatum, das als einzige durchgehende Melodie notiert ist und als vierstimmiger Kanon gesungen wird.
Petrus Kompositionen klangen natürlich nicht „in der Luftleere“, sie wurden als Bestandteil des zeitgenössischen Repertoires integriert. Diesen Rahmen spiegelt auch die Gestaltung des Programms wieder, wo neben den Kompositionen von Petrus Wilhelmi auch die choralen Gesänge des späten Mittelalters erklingen und ein Musterstück aus dem Schaffen seines Zeitgenossen Guillaume Dufay.
Auch wenn Petrus Wilhelmi lange Jahre im Schatten der kaiserlichen Majestät Friedrich III. lebte, war er gleichzeitig ein Kleriker und sein Schaffen zielte eindeutig zu den höchsten Werten: zur Majestät Gottes.
Die Schola Gregoriana Pragensis wurde im Jahre 1987 von David Eben gegründet (D. Eben absolvierte am Pariser Konservatorium das Fach »Dirigieren des gregorianischen Chores« und war in der nachfolgenden Saison als Dirigent des Chœur Grégorien de Paris tätig). Die Schola Gregoriana Pragensis widmet sich intensiv der Aufnahmetätigkeit und konzertiert oft in der Tschechischen Republik und im Ausland. Die Aufnahmen des Ensembles auf CD haben bereits mehrere Auszeichnungen erhalten (Choc du Monde de la Musique, 10 de Répertoire, »Goldene Harmonie« für die beste tschechische Aufnahme des Jahres).
Die Arbeit des Ensembles konzentriert sich einerseits auf die semiologische Interpretation des gregorianischen Chorals anhand der ältesten neumatischen Quellen aus dem 10.–11. Jahrhundert, andererseits auf die Aufführung gregorianischer Gesänge aus der eigenen böhmischen Choraltradition einschließlich der frühen Mehrstimmigkeit. Dank des intensiven Studiums von mittelalterlichen Quellen erklingt in den Programmen auch eine ganze Reihe einzigartiger, neu entdeckter Kompositionen aus dem 13.–15. Jahrhundert. (www.gregoriana.cz)